Die Verschwörung der Pärchen-Seher
Schon seit langem gibt es eine Gruppierung in dieser Welt, die um Dinge weiß, von denen kein Normalsterblicher jemals Kenntnis erlangen wird. Die Rede ist nicht von einem Geheimbund á la Illuminati – oder gar jenen außerirdischen Lebensformen, die laut Däniken unsere Zivilisation gegründet haben sollen. Nein, die Gruppierung die ich meine, handelt sehr viel subtiler. Und: Sie ist mitten unter uns.
Die Rede ist vom „Ich sehe Turteltäubchen, wo gar keine sind“-Orden. Weitverbreitet und äußerst anpassungsfähig zieht er sich durch alle sozialen Schichten und Religionen. Im Allgemeinen treten die Mitglieder dieses losen Ordens wie normale, unschuldige Kuppler auf. Erst auf den zweiten Blick offenbaren sich ihre abstrusen Ansichten. Der gemeine Pärchen-Seher hat nur eine Sicht auf die Welt: Es gibt Paare – und es gibt Paare, die noch nicht wissen das sie ein Paar sind. Quasi: Sei ein Paar oder stirb! Sehr ultimativ, wenn ihr mich fragt.
Ja, die sogenannten Pärchen-Seher sind überall. Man wird sie einfach nicht los. Haben sie eine Beziehung (egal welcher Natur) erst einmal ins Auge gefasst, sind sie nicht mehr aufzuhalten: Von der Sekunde an, wo sie merken, dass Objekt A und Objekt B einander sympathisch finden, legen Sie sich auf die Lauer. Es scheint ihnen egal zu sein, ob Objekt A und Objekt B sich dabei nur freundschaftlich interessant oder gar nicht körperlich anziehend finden. Allein die Tatsache, dass Objekt A und Objekt B miteinander Umgang pflegen, genügt ihnen.
Mal ganz unter uns: Mit krankhaften Kupplern im Bekanntenkreis kann man ja noch umgehen, aber wenn dann auch noch außerhalb (vielleicht sogar von Arbeitskollegen et cetera) zweideutig eindeutige Hinweise kommen, man würde ja in Objekt A oder B verknallt sein, obwohl dies nicht den Tatsachen entspricht, reicht es mir. Nächstenliebe in allen Ehren – aber es gibt Grenzen! Schließlich weiß ich selbst am besten, ob ich etwas von Objekt A oder B will oder nicht. Warum in Teufels Namen nehmen sich diese Pärchen-Seher dann das Recht heraus mich besser zu kennen als ich mich selbst kenne? Frei nach dem Motto: „Ich weiß doch, dass ihr zusammen seid, ihr wisst es nur noch nicht.“
Hallo? Wo kommen wir denn hin, wenn wir alle anfangen würden den Anderen vorzuschreiben mit wem sie zusammen zu kommen haben, nur weil es mal eben gerade so passt?! In jener Welt würden Ehen wahrscheinlich allein aus der Tatsache eines zufälligen Blickes heraus geschlossen.
Also mal ehrlich: Scheinbar denken all diese Leute trotz aufgeklärter Intelligenz nur mit dem Hinterteil. Selbst In-fester-Beziehung-Lebende sind in ihren Augen plötzlich promiskuitiv geworden. Versuchungen, wohin man nur blickt. Ethik zählt nichts, aber Schein alles oder wie?
Nein, das ist mir wahrlich zu hoch. Selbst Rechtfertigungen (obwohl man sich hier fragt: Warum entschuldigen für etwas, das man nie begangen hat und auch nicht zu begehen gedenkt?) prallen an diesen Ordensleuten einfach ab. Da fragt man sich doch, wozu das alles. Wenn nichts auf die eigene Meinung gegeben wird und grundsätzlich jeder eine fremdgängerische Ader zu haben scheint… Sind wir letzten Endes wie die Kaiser-Pinguine? [Vergleiche „Wozu Sex?“, Stern-Thema, 2005]
Vielleicht stimmt es ja, dass Treue nicht existiert – ebenso wenig wie platonische Liebe. Doch das ist Thema eines anderes Tages und soll die Gemüter der Pärchen-Seher nicht weiter erregen.