Obsession

Sie hatte nur eine Schwäche. Aber dafür umso ausgeprägter. Diese Gelüste waren nieder, sinnesfreudig aber rein: Die unbändige Gier nach Süßigkeiten. Insbesondere Konditoreiprodukten. Oh ja, sie hätte getötet für ein unverfälschtes Stück Schwarzwälder Kirschtorte. Völlerei war der einzige Antrieb in ihrem Leben.

So lecker…

Heute war wieder einer jener Tage, die sich endlos in die Länge zu ziehen belieben. Es war schon fast Mittag, draußen schien die Sonne – aber sie achtete nicht weiter auf die Schönheit vor ihrem Bürofenster. Ihr ganzes Selbst schrie: Mensa! Essen! Kuchen!
Sie stand völlig neben sich, war wie ein Tier dessen Sinne es zielsicher zur Beute führten. schnupper, schnupper Mit einem Mal holte sie die Gegenwart wieder ein. Sie war gegen die Kühltruhe der Caféteria gelaufen und hatte sich die Knie aufgeschlagen. Dumpf puckerte ihr Körper Protest – doch sie nahm es kaum wahr. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie auf das Wunder über dem sie gerade thronte: Ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte!? Vor lauter Entzücken krallte sie sich fest an den Rand der Truhe. Das musste ein morbider Scherz sein. Waren ihre Gebete tatsächlich erhört worden? Halleluja!

Wie in Trance wollte sie nach dem Kuchenstück greifen, da wurde ihr Körper plötzlich unsanft von rechts nach links geschleudert. Sie wollte protestieren, war jedoch so baff vom nachwirkenden Schwindelgefühl dass ihr nicht mehr als ein unverständliches „Weowiawdah“-Gebrabbel entfuhr. Der Störfaktor erwies sich als Michael Moore-Verschnitt aus der Verwaltung und je deutlicher sie wieder sehen konnte, desto mehr erinnerte sie diese Tonne auf zwei Beinen an den Comicverkäufer aus den Simpsons. Und (jawohl) eben dieser formvollendete Body war dabei ihr das Stück Schwarzwälder Kirschtorte streitig zu machen. Er war es gewesen, der sie rüde abseits gedrängelt hatte. So eine Frechheit! Gewalt gegen Frauen und das alles nur wegen ein paar Kalorienbomben? Zuviel ist zuviel. Das war IHR verdammtes Stück Kuchen!

Ohne zu zögern ging sie zum Angriff über. Wehe dem, der wagte ihr Allerheiligstes zu entehren! Der erste Tritt traf den Mistkerl völlig unerwartet. Ihr 5cm-Absatz hatte sich in seinen Plattfuß gebohrt. Ihr gezielter Ellenbogenschlag in seinen fetten Brustkorb setzte dem Ganzen nur die Krone auf. Waren die Karatestunden doch zu was Nutze gewesen. Fein.
Der M.M.-Mann sackte röchelnd nach vorne, ließ jedoch vom Kuchen ab. Sie hatte wieder freie Bahn. Gleichmütig kletterte sie über den wabernden, fleischigen Körper des Feindes und schnappte sich die Torte. Ein hämisches „Damit ein für allemal klar ist, was mir gehört, Babe“ in Richtung des finster drein blickenden Bündels mit Garfield-Shirt konnte sie sich nicht verkneifen. Dann bog sie siegessicher gen Kasse ab – den Kuchen wie eine Trophäe auf dem Silbertablett tragend. Die irritierten, beziehungsweise halb entsetzten, Blicke der Schaulustigen waren ihr egal. Sie hatte was sie wollte und die Welt war in Ordnung.

An einem freien Tisch nahe der Yucca-Palme kam sie endlich zur Ruhe. Minuten vergingen in denen sie die Torte einfach nur liebkosend ansah, sie anbetete wie eine Relique aus alter Zeit. Den Duft so tief in sich aufsog, dass ihre Nasenflügel vor Erregung bebten. Mit zitternden Händen schob sie sich schließlich den ersten Bissen mit der Gabel in den Mund. Kaum kitzelte der zart schmelzende, sündhaft cremige Schokoladenüberzug ihren Gaumen – da kam sie.