Das Gute, das Böse und der große Zusammenhang mit der Angst als dominantester Emotion der Menschen
Ich habe Paulo Coelho gelesen. Und es hat gewirkt – wie jedes Mal. Oder wie Veronica Ferres so schön sagte: „Es gibt Bücher, durch die entdeckt man neue Welten. Und es gibt Bücher, durch die entdeckt man sich selbst. Und ganz selten gibt es manchmal ein Buch, durch das man neue Welten in sich selbst entdeckt. Paulo Coelho schreibt solche Bücher.“
Diesmal war das Thema des Buches nicht Macht oder Liebe, sondern das tiefste Wesen der Menschen. Das, was man gemeinhin als ‚das Gute‘ und ‚das Böse‘ betitelt, Ying und Yang. Es wird die These aufgestellt, dass das Gute und das Böse dasselbe Gesicht hätten und es nur davon abhinge, wann sie die Wege der Menschen kreuzen. Interessant, nicht wahr? Sicher, diese Idee ist nicht neu. Aber das habe ich ja auch nie behauptet. Es gibt nun einmal Themen, die immer wieder auftauchen. Und eines jener Themen ist zweifellos die Frage, ob jemand ‚nur’ gut oder böse sein kann. Was glaubst du?
Ich denke, um diese Frage zu beantworten, muss man sich zuerst einmal fragen, was genau unter ‚gut‘ und ‚böse‘ zu verstehen ist. Dualistisch, wie wir heute erzogen werden, denken viele bei diesen Begriffen sicher zuerst an die christliche Vorstellung vom Teufel, beziehungsweise Dämon, auf der einen Seite der Schulter und dem Engel auf der anderen. Mir geht es -ehrlich gesagt- ebenso. Darum möchte ich im Folgenden von den sinnbildlichen Dämonen sprechen, wenn ich die ‚böse‘ Seite hervorhebe und von Engeln, wenn ich das ‚Gute‘ meine.
Doch haben wir nun schon geklärt, was denn genau gut und böse sei? Nein. Für mich persönlich ist es besonders schwer, eine derartige Definition zu treffen, denn a) glaube ich, dass Gut und Böse im Einklang existieren müssen -so wie Ying und Yang-, b) bin ich davon überzeugt, dass nichts im Universum grundlos geschieht –was wiederum bedeuten würde, dass auch Kriege, Naturkatastrophen et cetera ihren Sinn haben und damit den bösen Touch verlieren-, c) trotz meiner idealistischen, dualistisch geprägten Auffassung denke ich, dass gerade die Frage nach Gut und Böse eine Frage der kulturellen/ethischen Einstellung ist, womit eine allgemein gültige Beschreibung unmöglich wird. Nehmen wir zum Beispiel die afrikanischen Naturstämme, die den Tod eines lieben Menschen lachend und laut feiernd begehen. Kann das ein aufgeklärter Europäer nachvollziehen? Nein. Und warum nicht? Weil wir gelernt haben, dass Tod und Sterben etwas Böses, Trauriges ist und somit entsprechend behandelt werden muss. Andere Länder – andere Sitten, heißt es. Und wer hätte in diesem Fall Recht? Beide.
Wir sehen also, dass die Frage nach Gut und Böse letzten Endes nur die Geister scheiden kann – ähnlich der Frage nach Wiedergeburt, Leben im All und ähnlichem… Ich möchte dennoch versuchen, meine Sicht der Dinge darzustellen. Und um das zu tun, werde ich im Urschleim beginnen, denn solche Dinge müssen von unten aufgerollt werden, damit sie Sinn ergeben. Also, Punkt Eins: Die Angst.
Angst ist eines der niederen Gefühle, derer der Mensch fähig ist. Sie warnt uns vor Gefahren und existiert noch als Rudiment unserer Vorfahren, die sie dazu anhielt, vor großen Tieren zu fliehen um überleben zu können. Angst ist also völlig natürlich. Leider ist sie heute nicht mehr so lebensnotwendig wie damals, weshalb sie des Öfteren Ärger machen kann, wenn man nicht aufpasst. Angst ist überall, anpassungsfähig wie ein Bazillus und darum auch ebenso stark –wenn nicht gar noch stärker- wie die Liebe. Wo sie sich verbirgt? Überall dort, wo der Mensch beginnt zu zweifeln: Existenzängste (nun, hier steckt die Angst sogar im Namen), die Angst vor Ablehnung, die Angst nicht gut genug oder zu gut für etwas/jemanden zu sein, Angst vor Krankheit und Tod, die Angst zu spät zu kommen/etwas im Leben zu verpassen, Angst vor Unter- oder Überforderung/Stress, die Angst vor emotionaler Vernachlässigung, die Angst vor Abenteuern/Veränderungen, Angst ‚entgegen des Stroms’ zu schwimmen, die Angst vor Einsamkeit, Angst vor der eigenen Sexualität, die Angst etwas falsch zu machen, Angst davor verletzt zu werden, die Angst Geld/Macht/Eigentum zu verlieren, Angst vor Untreue/Gewalt, die Angst vor Auseinandersetzungen/Streit, Angst vor Krieg und Zerstörung, die Angst vor Liebe, Angst vor der Angst… Angst wo man auch hinsieht. Sie trat ihren Siegeszug in unsere Herzen an und es scheint, als könne nichts und niemand sie aufhalten.
Unterstützt wird diese Angst von den Dämonen, die sich freuen von einem Gefühl freie Bahn zu erhalten. Was denn, fragst du dich nun: Die Angst als bester Helfer der Dämonen? Ja, bewirkt sie doch oft eben jenes, was später böse Früchte trägt: Gewalt, Resignation/Passivität, Kaltherzigkeit verbunden mit Selbstüberschätzung, Einsamkeit. Heisst das nun, dass alle Menschen (denn ich bin davon überzeugt, dass jeder sich vor irgendetwas fürchtet) böse sind? Nein. Nicht direkt. Denn solange die Angst nur IST, kann uns vorläufig nichts passieren. Sie wird erst ab dem Punkt gefährlich, wo sie unser Leben bestimmt oder wir uns ganz von ihr beherrschen lassen. Dann haben die Dämonen gewonnen.
Punkt Zwei: Die Herrschaft des Bösen. Geht man nach der Bibel, so leben wohl alle Nicht-Christen und ½ der Christenheit in Sünde und somit im Bösen. Zorn, Neid, Habsucht, Hochmut, Wollust, Völlerei und Trägheit – kurz: die 7 Todsünden. Wer von uns hat noch nie eine von ihnen begangen? Also ich bekenne mich mindesten der Wollust, Trägheit und Völlerei schuldig. Und wenn man dem Fundamentalwerk des christlichen Glaubens Glauben schenken darf, so hieße das, dass ich böse sei – ebenso wie etwa ¾ der Menschen dieses Planeten. Stimmt das? In letzter Zeit stoße ich häufig auf die These, dass tatsächlich unser wahres Selbst dem Bösen unterstehe und wir Gutes nur tun, um dieses Böse in uns zu leugnen. So gesagt heucheln wir also nur etwas, was nicht existiert… Interessanter Gedanke, nicht wahr? Wie die Welt wohl aussähe, wenn dies stimmen würde? Armageddon wäre nahe; verdient wie ich finde. Doch man soll das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, also mögen alle Weltuntergangsprediger wieder Platz nehmen, denn noch habe ich nicht aufgegeben. Ich glaube. An das Gute. Trotz allem. Punktum. Und wie sagte Paulo Coelho in seinem Werk „Der Dämon und Fräulein Prym“ doch so schön: „Savinus [Heiliger] und Ahab [Assassine] hatten die gleichen Triebe – das Gute und das Böse kämpften um sie wie um alle Seelen auf der Erde. Als Ahab begriff, dass Savinus wie er war, begriff er zugleich, dass er war wie Savinus. Es war alles nur eine Frage der Selbstkontrolle. Und eine Frage, wie man sich entschied. Nichts weiter.“ Amen.