Tanjas Geheimnis

„Sie werden schon nicht beißen!“, sagte sich Tanja, um sich selber Mut zu machen. Wieso musste ihre Mutter auch unbedingt hierher nach Köln ziehen? Sie stand vor ihrer neuen Schule und betrachtete sie innig. Gar nicht so schlecht, dachte sie. Gemütlicher Pausenhof und eine große Turnhalle. Tanja wollte gerade in die 6. Realschule gehen, als jemand sie anrempelt. „Kannst du nich’ aufpassen? Du bist schließlich nich’ die einzige, die rechtzeitig da sein muss.“, giftete der Junge sie an, dann verschwand er. Toller Anfang, dachte Tanja.
„Endlich!“ Tanja schmiss sich auf ihr Bett. „Schulschluss!“ Nun erhob sie sich gnädig, um das Radio anzustellen. Sie drehte es volle Pulle auf. Die Spice Girls -ihre Lieblinge- spielten. Nun war sie unansprechbar. Vor ihrem geistigen Auge lief noch einmal der heutige Tag ab: Alle waren nett zu ihr gewesen. Vor allem ihre Banknachbarin Fritzi. Fritzi, die eigentlich Friederike hieß, aber regelrechte Wutausbrüche bekam, wenn man sie so nannte, war das beliebteste Mädchen der Schule. Zu Recht: Sie war freundlich, tolerant und für jeden Spaß zu haben. Wie gerne würde sie mit Fritzi befreundet sein…

„Mann!“ Tanja schlug das Regal in der Küche zu. „Wieso müssen die Oliven immer dann alle sein, wenn man Lust darauf hat?“ Nun ging sie zum Kühlschrank und schaute sich suchend um. “ Haben die kleinen Naschzwerge auch den Eistee geklaut?“, rief sie nun wütend. „Tut mir leid Schätzchen, aber der Eistee ist alle.“, antwortete ihre Mutter, die gerade die Küche betrat und Tanjas letzte Worte hörte. „Hm!“, machte sie nun. Das tat sie immer wenn ihr nichts mehr einfiel. Musste Tanja sich eben mit der Milch begnügen. Was tat man nicht alles, um den Durst zu stillen! Ihre Mom sah ihr nach, wie sie die Treppe hinauf in ihr Zimmer ging. Ob Tanja etwas bedrückte? Dieser Blick sprach Bände. Damals kam Tanja immer zu ihr, wenn sie etwas bedrückte. Doch seit dem Umzug war alles anders geworden, Tanja seilte sich immer mehr ab. Das macht das Alter, tröstete sie sich und ging zurück in die Küche, um das Gemüse zu schälen.
„Ich wünschte, Papa wäre noch da!“, sagte Tanja in ihrem Zimmer, während sie aufstand um das Bild auf ihrem Tisch zu holen. „Du wüsstest bestimmt, wie es ist ohne Freunde in einer fremden Umgebung zu sein. Ach, ich hoffe dass an meinem Geburtstag alles anders wird!“ Sie drückte das Bild ihres Vaters an sich, als ob es magische Kräfte hätte. Und das hatte es auch, jedenfalls für sie. Ihr Vater war gestorben, als Tanja 8 Jahre alt war. Trotzdem war ihr Vater ihr liebster Ansprechpartner. Mit ihm konnte sie nun über Sachen reden, bei denen ihre Mom sie nicht mehr verstand. Aber ihre Mom war trotzdem erstklassig, das war klar. „Wenn Papa noch hier wäre, er würde mich bestimmt verstehen.“ Ohne, dass Tanja es wollte, hatte sie Tränen in den Augen.

Als sie am nächsten Morgen aufwachte, sah die Welt schon wieder ganz anders aus. Ja, sie freute sich auf die Schule. Heute war Freitag, ein wunderbarer Tag: Die Sonne schien und doch blies ein leichter Wind. Aber das wichtigste war, heute war Tanjas 14. Geburtstag! Ihr Herz klopfte, wenn sie daran dachte. Als sie fertig angezogen war, kämpfte sie mit sich, ob sie noch Lidschatten und Lippenstift auftragen sollte. Sie entschied sich, es nicht zu tun, Tanja mochte sich so wie sie war. Vor der Tür schwang sie sich auf ihr Bike und fuhr los.
Lustlos blätterte Tanja in ihrem Englischbuch. „Tanja, was ist denn los?“, fragte Fritzi in ihre Gedanken hinein. Seit ihrem Geburtstag waren sie und Tanja die besten Freunde. „Erzähl’ ich dir in der Pause.“, antwortete sie knapp, als sie die mahnenden Augen des Lehrers sah. An ihrem Lieblingsplatz auf dem Hof bestürmte sie ihre Freundin sofort. Fritzi war nämlich sehr, sehr neugierig. Aber niemand in der Schule nahm ihr das übel. „Also, was is’?“, bestürmte sie Tanja. „Ach, er ist sooo süß!“, antwortete die. „Ich verstehe, eindeutige Zeichen von Liebeskummer.“, wettete Fritzi und traf damit genau ins Schwarze. „Wer ist denn der Glückliche?“, forschte sie weiter. „Dein Banknachbar.“, flüsterte Tanja. „Waaas?“ Fritzi glaubte, sich verhört zu haben. „Das kann doch nicht wahr sein!“, rief sie. „Von allen Junges dieser Schule musst du dich unbedingt in meinen besten Freund verlieben?!“ Fritzi wurde langsam immer leiser, bis sie zum Schluss ganz verstummte. Ein paar ‚Passanten‘ hatten sich versammelt, so beschlossen die beiden sich einen anderen Platz zum Reden zu suchen. Doch sie hätten auch da bleiben können. Tanja war nun so in Gedanken, dass Fritzi in Ruhe nachdenken konnte. Tanja und Tobias mussten unbedingt zusammen kommen! Wie war ihr egal, aber sie musste es um jeden Preis schaffen. Es gab da nur ein Problem: Tobias kannte Tanja nicht. Also musste sich Fritzi einen Plan ausdenken, wie die beiden sich kennenlernen können.

Fritzi schlenderte zu ihren Lieblingsimbiss. An ihrem Lieblingstisch hatte sie endlich die Idee. „Das ist es!“, sagte sie. „Das ist was?“, fragte jemand hinter ihr. Fritzi drehte sich um. Da stand Tobi, wie nur sie ihn nennen durfte. Er ließ sich auf den freien Stuhl neben ihr nieder. „Zwei Milchshakes, bitte.“, sagte er zu der Bedienung. „Ich muss mit dir reden, deshalb bin ich hier.“, sagte er, wie immer, ohne Umschweife. Nach einer halben Stunde war alles geklärt. Fritzi lächelte. Sie wusste, was zu tun war.

Um 19 Uhr klingelte die Tür bei Tanja. Als diese sie ahnungslos öffnete, traute sie ihren Augen nicht. Da stand Tobias und wollte mit ihr ausgehen! Als sie die Tür schloss, bemerkte sie Fritzi die an der Wand lehnte. Sie lief auf sie zu und umarmte sie als Dankeschön. Sie war den Tränen nahe, so glücklich war sie. Als Tobias und Tanja verschwanden, flüsterte Tanja: „Danke! Du bist meine beste Freundin und egal, was passiert, ich werde dir helfen. Dafür sind Freunde ja da…“